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Freitag, 12. August 2011

LINTHPARK-Akademie "Gesundheitsforum" (4)

Christian Buschan MSc
Mitbegründer der
VITAO ALPEN AKADEMIE
Artikelserie
"Salutogenese - was uns gesund macht und erhält"




Das Gesundheit schaffende Eingreifen



Professionelle Helfer haben im Grunde nur drei Möglichkeiten, Einfluss auf das SOC zu nehmen. Die beiden ersten Varianten beschreiben zeitlich begrenzte, eher geringfügige Veränderungen, die dritte Variante jedoch bezieht sich auf einschneidende Modifikationen. Das erste Prinzip heisst Primum non nocere (lat.: Primär nicht schaden) – das elementar­ste Prinzip der Medizin. Eine der­artige Begegnung des Patient mit dem Helfer verändert sein Leben in der Regel kaum wesentlich. Zweitens können therapeutische Begegnungen so gestaltet werden, dass der Patient sich in ihnen als konsistent erlebt, dass seine Bela­stungen während dieser Begegnung ausgeglichen sind und dass er deren Bedeutungen versteht und akzeptiert. Auch dieses ist noch kein wesentlicher Fort­schritt.

Zum dritten und positivsten Fall: Die Möglichkeit einer vom Therapeuten geplanten Ver­besserung des SOC des Patienten. Eine Begegnung dieser Art ermöglicht den Patienten nicht nur, gemachte Erfahrungen neu zu interpretieren. Sie gibt ihnen zusätzlich das Rüst­zeug dafür in die Hand, innerhalb ihres eigenen Lebensbe­reiches konkrete Erfahrungen zu machen, die ihr SOC verbes­sern, anheben, ausbauen. Dieses therapeutische Vorgehen erleichtert und befördert eine lang anhaltende, konsistente und positive Veränderung in den realen Lebenserfahrungen der Patienten. Dabei kommt der sozialen Unterstützung eine zentrale Rolle zu. Neuere Daten deuten darauf hin, dass soziale Unterstüt­zung nicht nur abfedernde, sondern ganz direkte Effekte bei der Abwehr von Krankheiten hat (Lin, Woelfel und Light, 1985). Um in der eingangs verwendeten Metapher des Flusses zu blei­ben: Erstens sind die Flussläufe so zu gestalten, dass auch schlechten Schwim­mern ein sie nicht überforderndes Fortkommen ermöglicht wird. Und zweitens sollen sie unter opti­maler und gezielter Anleitung guter Therapeuten besser schwimmen lernen!
Das Entscheidende beim Mobilisieren von Ressourcen ist das starke Gefühl von Bedeut­samkeit. Menschen mit starkem SOC werden bei Konfrontationen mit Stressoren eher Engagement, Hin­gabe und Bereitschaft, sich mit dem Stressor auseinanderzusetzen, empfinden. Sie gehen unmit­telbar von der Annahme aus, dass sich diese Auseinanderset­zung lohnen wird, dass sie eher eine spannende Herausforderung ist als eine Last, vor der man fliehen sollte. Ein starkes SOC vermag in beliebigen Systemen angesichts von Chaos die Chance zu dessen Umwandlung in Ordnung zu erkennen. Diese Haltung schlägt durch bis auf die Ebene der biologischen Antwortmuster, z.B. in der Form einer messbar ver­stärkten Immunreaktion.
Antonovsky beschreibt drei zentrale mögliche „Kanäle“, über die das SOC Einfluss nimmt auf den Gesund­heitszustand, respektive auf die Position der Person auf dem Gesund­heits‑Krankheits‑Kontinuum:
Direkt über das Gehirn: Die Wahrnehmung der Welt als verstehbar, handhabbar und bedeutsam kann das Gehirn dazu anregen, anderen Körpersystemen direkt gesund­heitsfördernde Informatio­nen zukommen zu lassen (z.B. Stärken der Immunabwehr).
Durch die Auswahl gesundheitsfördernden Verhaltens: Mehr Reize werden als nicht stresshaft erlebt, profes­sionelle Hilfe wird eher aufgesucht und angenommen, gesund­heitsschädliches Ver­halten wird vermieden (z.B. Vermeiden von Abhängigkeit / Sucht).
Durch den erfolgreichen Umgang von Personen mit hohem SOC mit Stressoren. Dies führt gene­rell zu deut­licher Spannungsreduktion (z.B. Blutdrucksenkung) und damit zur Vermeidung von Schä­digung sowie zu emotionaler und physiologischer Verstärkung.



Zusammenfassung

Die salutogenetische Orientierung anerkennt und geht davon aus, dass Heterostase, Altern und fortschrei­tende Entropie die Kerncharakteristika aller lebenden Organismen sind. Die allgegenwär­tigen Stressoren werden nicht primär und nicht nur als krankma­chend gesehen, sondern als gesundheitliche Entwicklungs­chancen. Die Salutogenese lokalisiert den Menschen auf einem mehrdimensionalen Gesund­heits‑Krankheits‑Konti-nuum. Sie verhin­dert damit die einseitige Kon­zentration auf bloße krankmachende Fakto­ren wie Stressoren. Vielmehr zwingt sie uns, stets die gesamte Geschichte der Patienten zu suchen, zu betrachten und zu bedenken - ein­schließlich sei­ner eigentlichen Krankheit.
Diese Denkweise stellt die Copingressourcen des Menschen ins Zentrum unserer Auf­merk­sam­keit. Deswe­gen sucht sie auch nicht nach Wunderwaffen, sondern nach allen Quellen der negati­ven Entropie, die das aktive Anpassen des Organismus an seine Umgebung erleichtern oder för­dern können. Und letztlich vermag der salutogenetische Ansatz bereits vorhandene Krankheits­daten erwei­tert zu interpretie­ren, indem sie die abweichenden Fälle, die nicht Erkrankten ins Auge fasst und nach den gesundheitsför­dern­den Gründen für diese Abweichungen sucht.
Damit ist die salutogenetische Orientierung nicht einfach nur die Rückseite der pathoge­netischen Sichtweise. Sondern sie stellt zusätzliche und nicht selten entschei­dende Fra­gen, indem sie einen anderen Blickwinkel wählt und alter­native Hypothesen vor­schlägt. Sie eröffnet damit nicht nur grundsätzlich neue Wege, son­dern sie zwingt zur Konzentra­tion aller Kräfte auf das Weiterentwi­ckeln der Copingtheorie. Denn wer bis zum Ende seines Lebens seine Verhaltensmöglichkeiten laufend erweitert, wird seine Lebens­kurve sozusagen rechtwinklig beenden: Bis kurz vor dem end­gül­tigen Knick führt er oder sie ein Leben voller Vitalität. Erik­son hat in seinem Buch „Der vollstän­dige Lebens­zyklus“ 1982 gezeigt, dass die von ihm so genannte Inte­grität das strategische Schlüssel­element der letzten Lebensphase ist: Ein Empfinden von Kohä­renz und Ganzheit­lichkeit, welches sogar den endgültigen Verlust von Bindungen auszugleichen vermag



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