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Freitag, 12. August 2011

LINTHPARK-Akademie "Gesundheitsforum" (2)

Christian Buschan MSc
Mitbegründer der
VITAO ALPEN AKADEMIE
Artikelserie
"Salutogenese - was uns gesund macht und erhält"




Das Kohärenzgefühl


Bereits die „Midtown Manhattan”-Studie von Leo Strole (1962, et al. 1980) beschreibt drei Schlüs­selres­sourcen, die beitragen zu einer Immunisierung gegenüber der potentiell zer­schmetternden Wucht extremer, von außen kommender Not: Eine stoische Kraft („Sei-erwachsen-Ethos“), enge Familienbindungen und ein Gefühl besonderer Gruppenidentität. Hätte Strole diese Ressourcen in Copinginstrumente umgesetzt, wäre das Konzept des Kohärenzgefühls wohl wesentlich früher entstanden. Der englische Begriff Coping meint „damit zurechtkommen, auf eine gute Art bewälti­gen“. Das Kohärenzgefühl ist ein durch­dringendes, dyna­misches Vertrauen in die eigene umfas­sende Lebensbefähigung. Es drückt nicht nur aus, wo man sich auf dem Gesund­heits‑Krankheits‑Kontinuum gerade befindet. Sondern es erlaubt auch eine Prognose darüber, zu welchem Pol hin man sich gerade bewegt.
Die drei zentralen Komponenten des SOC sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeut­sam­keit. Verstehbarkeit als die Möglichkeit, die Welt zu verstehen, ist dabei als Kernelement definiert: Sie ist zum einen das Aus­maß, in welchem man innere und äußere Reize verstandesmäßig als strukturiert, vorhersehbar, erklärbar und damit als sinnhaft wahr­nimmt. Zum anderen erlaubt Verstehbarkeit das Unterscheiden dieser Reize: Nämlich in die Gruppe der geordne­ten, nachhalti­gen, strukturierten und klaren Informationen sowie in die Gruppe der chaoti­schen, ungeordneten, willkürlichen, zufälligen und unerklärlichen Informationen. Selbst unvermittelt eintretender Tod, Krieg und Versagen sind erklärbar.
Handhab­barkeit ist definiert als das Ausmaß in dem man wahrnimmt, dass man über geeignete und ausrei­chende Ressourcen verfügt, um mit den Anforderungen der realen Welt fertig zu wer­den. Wer ein hohes Maß an Handhabbarkeit erlebt, fühlt sich zum Beispiel selten ungerecht behandelt oder gar in der Opferrolle.
Bedeutsamkeit schließlich repräsen­tiert inner­halb des SOC die motivationale Schlüssel­komponente: Sie beschreibt das Aus­maß, in dem man das Leben emotional als sinnvoll empfindet. Bedeutsamkeit liefert den Antrieb für das Verbessern des Ver­ständnisses der eigenen Welt und für das Verbessern der eigenen zur Ver­fügung stehenden Res­sourcen. Bedeutsamkeit schafft das Gefühl, dass die im realen Leben gestellten Prob­leme und Anforderungen es wert sind, nach Möglichkeit energisch gelöst zu werden.
Damit kann das SOC zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: Als eine alles umfassende Orientie­rung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat. Ein Vertrauen dar­auf, dass im Verlaufe des Lebens die inneren und äußeren Reize vorhersehbar, erklärbar und strukturiert sind. Dass einem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, um mit den Anforderungen, die von den genannten Reizen ausgehen, konstruktiv fertig zu wer­den. Und das Vertrauen darauf, dass die von den Reizen ausgehenden Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engage­ment lohnen. Das SOC ist damit eine dispositionale Orientierung und nicht etwa bloß ein Zustand oder eine Eigenschaft.
  • Das Erlangen und Aufrechterhalten eines starken Kohärenzgefühls ist jedoch an vier ulti­mative Bedingungen gebunden:
  • Die Person muss es für sich selbst bedeutsam finden, ihre eigenen Gefühle zu kennen und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen aktiv zu gestalten.
  • Sie muss es wichtig finden, sich mit der eigenen Tätigkeit identifizieren und sich existentiellen Fragen stel­len zu können.
Zu letzterem sind beispielsweise gemeint: Unausweichlicher Tod, unvermeidliches Scheitern, nicht wieder gut zu machende Fehler, unauflös­liche Konflikte und bedrückende Isola­tion. Wenn auch nur eine der vier ultimativen Bedingungen nicht aus­rei­chend erfüllt ist, kann sich kein dauerhaft starkes Kohärenz­gefühl einstellen oder erhalten.
Insbesondere die Forschungen zum Austritt aus dem Berufsleben zeigen, dass Flexibilität immer in Richtung beider Pole möglich ist: Personen mit starkem SOC können ohne grö­ßere Probleme ihre Berufsrolle allmäh­lich ausklingen lassen, während sie sich sozusagen fließend bereits in neuen Lebensbereichen wie kommu­naler oder künstlerischer Tätigkei­ten engagieren. Oder sich in bisher bereits früher aufgebauten und gepflegten Bereichen noch intensiver einbrin­gen.
Es gilt hier ernsthaft zu warnen vor dem so genannten „rigiden SOC“, einer pathologischen Aus­prägung des Kohärenzgefühls: Personen mit nur gespielt starkem, in Wirklichkeit jedoch schwa­chem SOC verbeißen sich verblendet in ihre (Gruppen-)Identität, um nur nicht den schrecklichen Ängsten in sich selbst zu begegnen, an denen sie gerade wegen ihres schwachen SOC leiden. Man könnte auch von Pseudointegration als Schutz gegen nagende Verzweiflung sprechen. Wer beispielsweise betont locker meint, alle Probleme ließen sich lösen, bricht früher oder später angesichts der Realitäten erschüttert und ver­zweifelt zusammen. Tiefeninter­views mit Mitgliedern radikaler und/oder fundamentalistisch orientierter Gruppen oder Sekten belegen dies mit zutiefst erschreckender Deut­lichkeit.
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