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Freitag, 12. August 2011

Lärmfragen oder „Selbstverwirklichung im Strassenverkehr“



Christian Buschan MSc
Mitbegründer der
VITAO ALPEN AKADEMIE


Wir brauchen uns nur umzuschauen und umzuhören: Die Rücksicht auf den Mitmenschen und der Respekt vor öffentlichem und privatem Raum und Besitz schwindet. Der zunehmende öffentliche Lärm ist zugleich Ursache und Folge dieses sozialen und kulturellen Niedergangs.

Ich bestreite, dass es quasi ein Naturgesetz sei, dass Jugendliche Lärm erzeugen "müssen". Flirten und Pla­gieren kann man auch leiser und klüger. Auch ältere Menschen scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass nach 22 Uhr niemand auf der Straße hören möchte, wie fein das Entrecôte im "Bären" war. Und die sich dann mit lauten, vom Alkohol enthemmten Stimmen, endlos vor der Haustüre verabschieden. Laute "Musik" oder das Verwenden lärmender Geräte im Freien, die Nacht- und die Sonntagsruhe – dies alles ist zwar ge­setzlich geregelt, aber kaum jemand kümmert sich noch um das konsequente Durchsetzen. Jedes noch so kleine Quartier- oder Dorffest glaubt heute, ganze Ortsteile beschallen zu müssen. Es würde reichen, wenn nur die etwas hören, die vor der Bühne sitzen oder stehen. „Zimmerlautstärke“ bedeutet: Nur die im Zimmer oder Auto Sitzenden können (bei geschlossenen Fenstern) hören, was da gespielt wird. 

Denken wir an Schichtarbeiter/innen und Frühaufsteher: Rund ¼ Million Menschen in diesem Land arbeiten nachts und müssen tagsüber schlafen. Vielleicht sollten wir Nachtruhe und Schlaf zu geschützten Menschen­rechten erklären? Was Übermüdete auf der Straße oder am Arbeitsplatz anrichten, wissen wir. Unnötiger, vermeidbarer oder gar provozierter Lärm und Krach haben etwas Gewalttätiges an sich: Man kann nicht nicht hören! Oder sollen die unter dem Lärm Rücksichtsloser Leidenden dazu genötigt werden, bei geschlos­senen Fenstern zu schlafen, die schönen Abende zu genießen oder zu lesen? Nötigung, also das Dulden von etwas Unzumutbarem, das ich nicht will, ist übrigens strafbar (Art 181 Strafgesetzbuch).  

Das Schweizer Strassenverkehrsgesetz (SVG) äussert sich mehrfach zum Thema „Lärm“ (Art 42 Abs 1): "Der Fahrzeugführer hat jede vermeidbare Belästigung von Strassen­benützern und Anwohnern, namentlich durch Lärm, Staub, Rauch und Geruch, zu unterlassen und das Erschrecken von Tieren möglichst zu vermei­den". Im Art 54 Abs 1 steht: "Stellt die Polizei Fahrzeuge im Verkehr fest, die nicht zugelassen sind, oder deren Zustand oder Ladung den Verkehr gefährden, oder die vermeidbaren Lärm erzeugen, so verhindert sie die Weiterfahrt. Sie kann den Fahrzeugausweis abnehmen und nötigenfalls das Fahr­zeug sicherstellen". Abs 3 wird noch deutlicher: "Hat sich ein Motorfahrzeugführer durch grobe Verletzung wichtiger Verkehrsregeln als besonders gefährlich erwiesen oder hat er mutwil­lig vermeidbaren Lärm verursacht, so kann ihm die Polizei auf der Stelle den Führerausweis abnehmen".

Die Verkehrsregelverordnung (VRV) enthält ebenfalls zwei deutliche Aussagen zum Lärm: "Fahrzeugführer, Mitfahrende und Hilfspersonen dürfen, namentlich in Wohn- und Erholungsgebieten und nachts, keinen vermeidbaren Lärm erzeugen. Untersagt sind vor allem: Andauerndes, unsachgemäßes Benüt­zen des Anlas­sers und un­nö­tiges Vorwärmen und Laufenlassen des Motors stillstehen­der Fahrzeuge; hohe Drehzahlen des Motors im Leerlauf, beim Fahren in nied­ri­gen Gängen; zu schnelles Beschleunigen des Fahrzeugs, nament­lich beim An­fahren; d. fortgesetztes unnötiges Herumfahren in Ortschaften" (Art 33 Abs a-d). Und im Art 42 Abs 4 steht: "Die Führer von Motorfahrrädern haben die Vorschriften für Rad­fahrer zu beachten sowie zur Vermeidung von Lärm die Bestimmungen für Motorfahrzeugführer". Damit dürfte klar sein, dass Ruhe vor jeder Selbstverwirklichung im Straßenverkehr geht – und zwar für alle: Junge, Alte, Migranten, Gäste, Ver­wandte, Freunde. Diese Bestimmungen gelten übrigens rund ums Jahr und in der gan­zen Schweiz!

Die Ortspolizei-Reglemente der Gemeinden  (hier als Beispiel Köniz BE, Artikel 11 und 12) sind meist sehr klar: "Es ist jedermann untersagt, durch sein Benehmen oder mit Geräten, Fahrzeugen, Maschinen und Vor­richtungen Lärm zu bewirken, der durch zumutbare Vorkehren, Anpassung an den Stand der Tech­nik oder durch rücksichtsvolles Verhalten vermieden werden kann". "Lärmende Arbeiten, insbesondere Klopfen von Möbelstücken und Teppichen, Rasenmähen, usw., sind von 20:00-07:00 Uhr und von 12:00-13:30 Uhr unter­sagt". "Es ist untersagt, mit Tonempfangs- und Wiedergabegeräten, Musikinstrumenten, lautem Singen, usw., in Häusern, bei offenen Fenstern oder Türen, auf Balkonen oder im Freien, die Öffentlichkeit unzu­mutbar zu stören". "Der Gebrauch von Lautsprechern an Fahrzeugen ist untersagt: ebenso der Gebrauch von Lautsprechern, die sich störend auf öffentliche Strassen und Plätze auswirken". "Der Inhaber eines Gewerbe­betriebes hat alle dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Massnahmen zu treffen, um Immissio­nen zu vermeiden". "Lärmende Arbeiten sind, soweit möglich, in geschlossene Räume zu verlegen und sind von 20:00-07:00 Uhr und von 12:00-13:30 Uhr untersagt". Vielleicht sollten wir unsere eigenen Reg­lemente mal wirklich lesen und anwenden…

Es dürfte klar geworden sein, dass zum Beispiel rücksichtsloses "Selbstverwirklichungsgetrommel" – ich schließe ernsthaftes Üben auf Musikinstrumenten ausdrücklich aus! – schlicht nicht in Frage kommt. So wenig wie brüllende Gartenparties, die mit ihrem Lärm bloß die Langeweile der Leute kaschieren. Damit ist eigentlich das Wesentliche klar. Was zu tun bleibt, ist das Umsetzen dieser Vorschriften. Das ist nicht primär die Aufgabe der Polizei. Wenn Gespräche unter Betroffenen jedoch nicht weiterhelfen, so ist das Durchset­zen des geltenden Rechts Aufgabe der Gerichte unter Mithilfe der Polizei. Ohne entschlossene Zivilcourage aller Bürger/innen geht das allerdings nicht.

Doch so weit muss es eigentlich gar nie kommen: Wenn wir einen sozial aufmerksamen, rücksichtsvollen, entschlossenen und vernünftigen Umgang miteinander pflegen, braucht es kaum Polizei oder Gerichte, um mit lästigen Lärmquellen fertig zu werden.