Christian Buschan MSc Mitbegründer der VITAO ALPEN AKADEMIE |
"Salutogenese - was uns gesund macht und erhält"
Stressoren –
die Stress erzeugenden Faktoren
Ein Stressor kann definiert werden als ein Faktor, der Entropie in ein System bringt. Unter Entropie verstehen wir hier das Maß für den Grad der auf natürliche Weise ständig zunehmenden Unordnung und Ungewissheit in einem System. Entropie beschreibt gleichzeitig den Grad der Nichtumkehrbarkeit dieser Unordnung. Entropie ist damit auch eine Lebenserfahrung, die gekennzeichnet ist durch Inkonsistenz (keinen Bestand habende, in sich selbst widersprüchliche Elemente), Unter‑ oder Überforderung und fehlende Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Es gilt, drei Typen von Stressoren zu unterscheiden: Chronische und zentrale Lebensereignisse sowie die akuten täglichen Widrigkeiten. Dabei gilt es nicht zu vergessen, dass auch Nicht-Ereignisse (z.B. das Ausbleiben einer Schwangerschaft oder einer Beförderung) bedeutende Stressoren sein können.
In der Arbeitswelt interessiert oft primär das Ausmaß jener Arbeitsstressoren, welche das Berufsleben nicht selten zur Vorhölle verkommen lassen: Hoher Arbeitsdruck, starke Kontrolle durch Vorgesetzte, fehlende Autonomie und fehlende Klarheit. Im Gegensatz dazu muss aber immer auch das Ausmaß der Arbeitsressourcen abgeschätzt werden: Involviertheit in den Beruf, Zusammenhalt unter Kolleginnen und Kollegen, Unterstützung durch Vorgesetzte.
Die salutogenetische Orientierung zwingt zur Konzentration auf das aktive Anpassen an die Umwelt, die mit Stressoren reichlich angefüllt ist. Ein hohes Ausmaß an Stressoren kann bei gleichzeitig hohem Maß an sozialer Unterstützung sogar gesundheitsfördernd sein (Nuckolls, Cassel, Kaplan 1972). So kann beispielsweise ein Schock sogar einen gesunden Einfluss auf den Organismus haben - vorausgesetzt, man kann ihm rechtzeitig entfliehen (Laudenslager et al 1983). Soziale Unterstützung wird hier wie ein Puffer verstanden: Er vermindert auf Menschen gerechte Art und Weise die von den Stressoren ausgehenden Wirkungen auf ein erträgliches Maß. Damit verlangsamt soziale Unterstützung ursächlich das Entstehen von Krankheit - oder sie verhindert Krankheiten unter Umständen sogar ganz! Die Hauptthese des salutogenetischen Modells ist, dass ein starkes SOC entscheidend für erfolgreiches Coping mit den allgegenwärtigen Stressoren des Lebens und damit für den Erhalt der Gesundheit ist. In Stressituationen wird eine Person mit starkem SOC zwar nicht unbedingt glücklicher oder zufriedener sein als die mit einem schwachen SOC. Aber sie kann das Gefühl haben, dass sie mit den gegebenen Fakten so gut wie möglich umgeht und ihr Leben dennoch erträglich gestaltet. Für dieses besondere Gefühl des Wohlbefindens selbst im Leiden ist das SOC unmittelbar wichtig.
Die salutogenetische Sichtweise ermöglicht damit eine Rehabilitation der im menschlichen Leben nicht wegzudenkenden Stressoren. Der Schlüsselbegriff dafür ist negative Entropie. Sie löst die Suche aus nach nützlichen Inputs in das soziale System, in die physische Umwelt, in den Organismus - bis hinein in die einzelne Zelle! -, um dem unausweichlichen Trend zur Entropie entgegenzuwirken. Vaillant, ein Psychiater, hat 1979 in einem Aufsatz die Ursachen beschrieben, welche die Gesundheit bis weit über das 50. Lebensjahr hinaus erhalten. Er fand, dass die Art, wie sich eine Person an Stressoren anpaßt, dafür entscheidend sei. Und nicht etwa das Vermeiden von Stress oder ein bewusster Copingprozess! Hans Selye, der Begründer der Stressforschung, sagt gar: „Stress is the salt of life“! Viktor E. Frankl, Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, Begründer der Logotherapie und selber früherer Gefangener in Auschwitz, drückt es in seinem Buch „Das Leiden am sinnlosen Leben“ (Herder Spektrum 4859, S. 45) noch deutlicher aus: „Mehr Stress als in Auschwitz gab es wohl kaum irgendwo anders. Und gerade dort waren die typischen psychosomatischen Krankheiten, die so gerne für stressbedingt gehalten werden, praktisch vom Erdboden verschwunden“.
Die reifsten Anpassungsmechanismen an Stressoren umfassen Humor, Selbstlosigkeit oder Uneigennützigkeit (Altruismus), Verfeinerung (Sublimation) und echtes „Wegstecken“ (Suppression). Sie erleichtern denjenigen, die sie nutzen, die Verbindung zu anderen Menschen; denn sie machen seine oder ihre soziale Umgebung vorhersehbarer und unterstützender. Eine weitere zentral wichtige Ressource ist das Durchhaltevermögen. Es beschreibt die physische und/oder moralische Kraft, die nötig ist, um Krankheit, Ermüdung oder Entbehrung nachhaltig zu widerstehen - kurz: Ausdauer (lat. Stamina, von Stamen = Lebensfaden!).
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