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Dienstag, 24. Mai 2011

Emanzipation: Welche Männer wollen wir? (2)

Artikel von Christian Buschan MSc
Mitbegründer der
VITAO® ALPEN AKADEMIE

Männlichkeitssyndrom

Plädoyer für ein mutiges Mannsein

«Ich habe so viele junge und ältere Menschen gesehen und erlebt, die im Grunde ihres Herzens gut sind, die bewusst gut sein wollen. Die aber nicht wissen, wie man das umsetzt.»

Nur leere Hände können Neues aufnehmen. Wer sich mit den zweifelhaften Segnungen der Postmoderne vollstopft, erstarrt im Haben, statt sich zum Sein zu wandeln. Doch wichtige Wandlungen beginnen immer mit massiver Destabilisierung, oft mit grossen Unsicherheiten und dementsprechend oft auch mit grossen Ängsten. Das sagt sich leicht. Und doch klammern wir uns ängstlich wie kleine Buben an unsere Spielsachen, an unsere Offroader, unsere Vorzeigefrau, an die Karriere – und reden daher, wir hätten „alles im Griff“. Dabei zittern Lippen, Hände und Herzen, der Atem geht flach und stockend. Ich habe früher selber 15 Jahre lang wie verrückt Kugelstossen trainiert, ich weiss, wovon ich rede, wenn ich Masslosigkeit und Verblendung erwähne. Wer seinen „Kick“ aus dem bezieht, was das Leben ihm gefälligst geben, schenken und bereithalten soll, wer immer bloss egoistisch und quengelig vom Leben verlangt, was ihm vermeintlich gut tut, benimmt sich im Grunde wie ein Säugling, der nach der Mutterbrust verlangt.

Mindestens die Hälfte meiner Generation hat bezüglich Selbsterziehung und Reifung kläglich versagt, ist mit der Bierdose vor der Glotze oder mit dem Cüpli im smarten Smalltalk gelandet und hat selbstgefällig vergessen, dass Frau und Kinder einen zärtlich-liebenden Mann und einen liebevoll-starken Vater möchten und bräuchten. Von echten, lebenstauglichen männlichen und weiblichen Vorbildern wage ich heute kaum noch zu sprechen, da werde ich wie ein urzeitlicher Dinosaurier beäugt. Werbung, Boulevardpresse und Internet bieten doch schliesslich genug „Vorbilder“, oder?! Wozu also die persönliche Anstrengung? Wozu das Ringen um das Wahre, Schöne und Echte?

Hinter dem ernsten Problem Jugendgewalt stehen Machismo, Gewaltverherrlichung in sämtlichen Medien, abwesende Väter, eine permissive Gesellschaft, Süchte jeglicher Art als Ersatz für echtes Leben, ein verunsicherter Rechtsstaat und vieles mehr. Die Psychiatrie stellt seit Jahren eine massive Zunahme von Angsterkrankungen, Depressionen und Suiziden fest. Das ganze grossartige Getue von „alles im grünen Bereich“ ist meist schlichte Lebenslüge. Wer sich ehrlich der ganzen aktuellen sozialen Realität stellt, erschrickt zutiefst.

Viele haben heute den Eindruck, in einer emanzipierten Welt zu leben, in der die alten Männlichkeitsmuster überwunden sind. Das Gegenteil ist wahr – sie leben weiter, sie wuchern geradezu. Vor allem haben diese Muster Sinn und Form verloren, die ihnen alte Kulturen wie z.B. jene der Kelten noch gaben. Diese Kulturen stellten den aggressiven, kämpferischen männlichen Eigenschaften immer auch die Tugenden der Weisheit, des Masses und der Demut zur Seite. Kriegerisches Chaos wurde als Chance zum Erwerb wichtiger Eigenschaften gesehen: Glaube an die eigenen Fähigkeiten, mutige Verwegenheit, rhetorische Schärfe, Entschlossenheit, das Richtige zu tun. In vielen Mythen war es für beide Geschlechter zwingend, sich innerlich mit dem Gegenpol der weiblichen, beziehungsweise der männlichen Macht zu verbinden, um heil und heilig zu werden. Druiden und Schamanen wirkten bewusst darauf hin, besonders Männer mit den Schäden zu konfrontieren, die ihre männlichen Schatten ihren eigenen weiblichen Seelenanteilen zufügten. Erst dadurch wurden Männer fähig, zu verstehen, dass zu ihrer Seele auch die weicheren Schwingungen gehören. Durch meditative Übung wurde vermittelt, dass es sinnlos ist, die Zeit durch ein beschleunigtes Tempo überwinden zu wollen – gerade für Männer in der Lebensmitte ein wichtiges Thema. Und was tun wir heute? Wir belasten unseren Geist mit gewaltstrotzenden, extrem hektischen Computerspielen, mit glücksverheissenden Aktienkursen und hoffen so, unsere „Männlichkeit“ zu stärken. Wir schädigen unsere Körper mit „männlichem“ Konsumverhalten: Auto, Tabak, Alkohol, Fett, Zucker und Sex ohne Mass. Die Industrie reibt sich die Hände, die Umsätze steigen, unsere Dummheiten sichern Arbeitsplätze. Ein Leben in solchen körperlichen, seelischen und geistigen Teufelskreisen kann nicht sinnvoll sein.

Feige sind viele von uns geworden. Wie schnell fürchten wir die Ablehnung anderer, wenn wir den „Idealen“ der breiten Masse nicht entsprechen! Viele von uns sind darauf getrimmt, vom Leben schlicht alles zu verlangen. Und aufzuheulen, wenn es nicht sofort und möglichst auch noch umsonst geliefert wird: viel Geld, ein geerbtes Häuschen im Grünen, eine Frau mit „Huren-Madonnen-Syndrom“, stromlinienförmige Kinder, usw. Es ist zum Heulen, wenn man(n) da mal wirklich genau genug und nüchtern hinschaut. All das kriegen wir nicht bloss mit ein bisschen „Wellness“ oder „Fitten“ weg!

Glaube, Liebe, Hoffnung. Selbst in den schwersten und schrecklichsten Stunden meines Lebens habe ich diese drei niemals aufgegeben. Und es hätte dafür viele Gründe gegeben, weiss Gott: Bei der Polizei die tägliche Begegnung mit dem Bösen, Gewalttätigen und Gemeinen. Im Psychologischen Dienst der Armee die Konfrontation mit unbewusster struktureller Gewalt, mit armseliger Feigheit und krankhaftem Grandiositätswahn. Als Divisionsrichter das erzwungene Anhören dogmatisch vorgetragener fauler Ausreden oder kindlicher Lebenslügen. Als Christkatholik glaube ich an den unzerstörbar guten Kern aller Menschen. Ich habe so viele junge und ältere Menschen gesehen und erlebt, die im Grunde ihres Herzens gut sind, die bewusst gut sein wollen. Die aber nicht wissen, wie man das umsetzt in einer Zivilisation, die geprägt ist vom immer rücksichtsloseren Kampf um materielle Güter. Ich kann gut nachvollziehen, dass sich heute etliche dieser vielen potentiell Guten aus lauter Verunsicherung und Verzweiflung vereinnahmenden Gemeinschaften zuwenden. Um dort der schönen Illusion zu verfallen, man kümmere sich um ihr „Inneres“. Dabei wird ihnen dort bloss das Geld aus der Tasche und die Seele aus dem Herzen gezogen.

Ich bin oft gescheitert, habe manchmal auch versagt, gemogelt oder Entscheide hinausgezögert. Und doch wusste ich immer: In uns allen ist alles Wichtige schon da. Gott will, dass wir gut sind und bleiben. Das ist die Trotzmacht des menschlichen Geistes, der bis zum letzten Atemzug sich so oder anders zu seinem Schicksal und zur Realität einstellen kann. Ich glaube seit jeher daran, dass wir Menschen nicht das Leben zu befragen haben. Sondern dass wir die an uns gerichteten Fragen und Aufrufe des Lebens zu beantworten haben. Beantworten durch tragende menschliche Beziehungen, durch gute Werke und Haltungen, die wir alle persönlich verantworten. So habe ich bisher zu leben versucht.