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Donnerstag, 7. April 2011

Ethik-Kommission zum Atomausstieg

Prof. Dr. Joachim Kohlhof
EthikColleg Mehren (D)
Schirmherr VITAO Ethic Community




Die vorauseilende deutsche Angstphobie über die Nutzung von Atomstrom hat sich nun in der Einberufung einer Ethik - Kommission Luft gemacht.

Zur Abstützung ihrer Wendepolitik hat die Bundesregierung einen Arbeitskreis gebildet, den sie sicherlich nicht zuletzt aus wahltaktischen Gründen, unverbindlich und trotzdem klangvoll "Ethik-Kommission" nennt. Das Gremium ist im Wesentlichen zusammengesetzt aus Vertretern von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Kirche. Den Angehörigen dieses Arbeitskreises kommt auch in dieser Reihenfolge die entsprechende Bedeutung ihres Gewichtes zu.

Wie Politiker "ihrer" Ethik folgen wollen, bleibt für die entsendenden Parteien und für die entsandten Politprofis ihr Geheimnis. Die Ethik wird von der Politik immer dann bemüht, wenn sie selber eine gewisse Ratlosigkeit mit einem entsprechenden Hilfsbedürfnis verspürt und die Ethik als Feigenblatt dazu benützt, hinter dem sie ihre eigene Unentschlossenheit zu kaschieren versucht. Alle teilnehmenden Politiker hängen am Gummiband ihrer Amme, nämlich ihrer Parteien, von denen sie ihre Direktiven erhalten und die sie umzusetzen haben. Eine freie, nur dem Gewissen unterfallende Meinungsbildung passt nicht in das Konzept der parteipolitischen Strategien. Die Gruppe der Politiker spiegelt auch insofern das Parteienspektrum wieder, so wie  es uns vom parlamentarischen Verteilungssystem bekannt ist. Dieser "Energie-Arbeitskreis" soll nun eine Wende im Energiekonzept der bisherigen Politik herbeiführen und ihr mit Augenmaß eine Sinnwendung verleihen, die zu keinem politischen Ansehens- und  Gesichtsverlust führen darf. Die Energiepolitik und der angedachte Atomausstieg sollen über das Gremium gewissermaßen auf eine höhere Ebene angehoben werden. Natürlich sind die Politiker dazu verdonnert, alles zu vermeiden, was nach Fehleinschätzung, falscher Einsicht und notwendiger Umkehr in ein verändertes Energiekonstrukt einmündet. Alle ihre Einlassungen und Einschätzungen dienen dem Hauptzweck, in der Öffentlichkeit und damit bei den Wählern den Eindruck einer verläßlichen und folgerichtigen Energiepolitik zu hinterlassen - und weil nur das zählt. Die Orientierung am eigenen Wahlerfolg hat oberste Priorität und darf nicht infrage stehen, auch wenn es um gesamtwirtschaftliche Sicherheitsfragen, um Auswirkungen des Atomausstiegs auf den Klimaschutz, den möglichen Strom-Import oder um Versorgungsprobleme oder gar um neue Kohlekraftwerke geht, die den damit verbundenen konkreten CO2 Ausstoß wieder erneut entfachen.

Es darf durchaus nach dem Sinn der Entsendung von Berufspolitikern in diese Kommission gefragt werden, wenn man dem Eindruck nicht unterfallen will, dass nicht wieder einmal der Bock zum Gärtner gemacht wird und alles so bleibt, wie es die Politik schon längst entschieden hat.

Die Sendboten der Wirtschaft in diesem Gremium haben einen eindeutigen Auftrag, denn ihr Gewissen orientiert sich ausschließlich an der Frage, was sich für sie rechnet und was nicht. Sie sind reine Interessenlobbyisten und haben nur jene Energieträger im Fokus, die ihnen einen günstigen Einkauf sichern. Die Angehörigen der Atomindustrie wollen naturgemäß jede radikale Wendung auf andere Energielieferanten vermeiden um die Brückentechnologie noch lange für sich nutzbar zu halten, solange es für sie sich rechnet und die gigantischen Investitionen in die Atommeiler nicht zu herben Abschreibungsverlusten führen. Sicherste Atomkraftwerke abzuschalten, die der Wirtschaft, den Verbrauchern und dem Ausland bisher preisgünstigen Strom bescherten, bauen naturgemäß eine Druckkulisse auf, die einerseits zu massiven Energiepreiserhöhungen führt und andererseits einen ausgewogenen Energiemix vermissen lässt. Argumente also, die von den Gegnern des Atomstroms kurzfristig nur schwer entkräftet werden können, wenn sie nicht bewusst hysterisch auf die Ereignisse von Fokushima reagieren wollen. Die Steigerung der Strompreise aus alternativer Stromgewinnung ist vorhersehbar und bindet naturgemäß einen wachsenden Teil der Kaufkraft  der privaten, industriellen und öffentlichen Haushalte. Im Warenkorb der Stromabnehmer findet ein Verdrängungswettbewerb statt, der die Kaufkraft für nicht substituierbare Energieprodukte reserviert und die übrige Kaufkraft für bisher freie Verwendungen bzw. Investitionen schmälert. Natürlich werden andere Wirtschaftszweige von diesen Veränderungen im Kaufkraftverhalten mittelbar und auch unmittelbar betroffen. 

Letztlich müssen auch deren Kosten für ausfallende Verkäufe und ausbleibende Investitionen als externe volkswirtschaftliche Kosten, dem Atomausstieg angelastet und den ersetzenden Energieträgern hinzugerechnet werden. Inwieweit sich diese Prozesse auch auf Arbeit und Einkommen auswirken, vermag natürlich eine solche Kommission nicht sachkundig einzuschätzen. Die totale Sicherheit vor Atomstrom gelingt nicht zum Nulltarif und wird am Ende von allen bezahlt werden müssen, die sich für ein Heil in erneuerbare Energieformen stark gemacht haben. Sicherheitsaspekte sollen und müssen in der Meinungsfindung eine wesentliche Rolle spielen. Dabei darf man aber auch nicht außer Acht lassen, dass auch bei der Herstellung von (Kampf-)Flugzeugen, Waffen, Autos, Gezeitenkraftwerke oder Windkraftanlagen, sowie flächendeckenden Solarlandschaften Restrisiken bestehen, die bei sachgemäßer Nutzung auch nicht zur Gänze auszuschließen sind. Häufig wird das Kind sofort mit dem Bade ausgeschüttet und es bleibt Ahnungslosigkeit und Verwirrung zurück, wenn  alle Katastrophen-Szenarien dafür herhalten müssen, sich für den einen und gegen den anderen Energieträger auszusprechen.

Natürlich wittern Wirtschaft und Investoren erneuerbarer Energien politisch motivierten Morgenduft und freuen sich über Kursgewinne, denen allerdings noch das reale underlying fehlt. Insofern wundert es nicht, dass schon wieder ehemalige Ekelpakete aus der mumifizierten Dallas-Serie als Werbeikone dafür herhalten müssen, die Sonnenenergie wieder als verheißungsvolles  Licht am Horizont einer blühenden Zukunft erstrahlen zu lassen. Es wird mit neuen Arbeitsplätzen durch die erforderlich gewordenen Investitionen in erneuerbare Energie geworben, die der Arbeitsmarktpolitik nicht unverborgen bleiben und die Landschaftsgestalter von den Bergen bis zum Meer warten gerade zu darauf,  Flächen für Windkraftanlagen, terrestrische Fotovoltaik- und Solarlandschaften anzubieten. Sicherheit hat ihren Preis, sicherlich auch den der großflächigen Verschandelung  von Bergen, Wiesen und Wäldern und der Vergewaltigung von kulturvollen Einrichtungen und Regionen. Die Preisgabe "blühender" Erholungsräume und die Einschränkung bisher freier Zugänge durch flächenmäßig großräumig abgesperrte alternative Stromgewinnungsanlagen dürfen dann auch nicht als notwendige Kollateralschäden des Atomausstiegs angeprangert werden.

So stehen sich die ernannten "Wirtschaftsethiker" unversöhnlich gegenüber  und beklagen die mangelnde Einsicht des Wettbewerbers. Das Ergebnis ist ambivalent. Jeder bringt sich in Position und erhofft durch beabsichtigte und unbeabsichtigte Wahlhilfen, Steilvorlagen für die Politik zu liefern, aus denen dann der erhoffte Klientenerfolg wird.

Banken sind in der Ethik-Kommission nicht vertreten. Ihr Metier ist gegenwärtig  ethischen Fragen noch nicht zugänglich. Die Bankenethik wird von den Geldhäusern nach wie vor gemieden und nur wenige Institute sind von der geschäftsfördernden Praxis durch ethische Ausrichtung überzeugt. Gerade die überstandene Finanzkrise hat einmal mehr gezeigt, wie internationales Banking mit der Ethik auf Kriegsfuß steht und einfach nicht zusammenpassen. Ihre Beteiligung an der Kommission würde daher eher kontraproduktiv wirken, weil unabhängig von Ausstieg oder nicht, ihr geschäftliches Interesse nur darauf abhebt, die Investments danach zu beurteilen, wie und wo am schnellsten Kursgewinne zu realisieren sind und künftige Beteiligungen im Rahmen von privat banking oder privat equity sich am ehesten lohnen. Eine hilfreiche Mitarbeit von Bankenvertretern wäre demzufolge auch nicht zu erwarten.

Die in die Ethik Kommission berufenen Gewerkschaftsmitglieder verstehen sich zu Recht als elementarer Bestandteil eines grundrechtgesicherten Sozialgefüges, das im Laufe der Geschichte dem Gesetzgeber bereits viele ethisch-wertvolle Gesetze abgerungen hat. Sie sind der wirkliche Ansprechpartner, wenn es um Verbesserung der Lebenschancen und der Steigerung der Wohlfahrt geht. Tarifauseinandersetzungen und andere gewerkschaftsseitge Aufgabenstellungen sind der Demokratie wesensimmanente Rechte, ohne die ein Volkskörper die Zukunft nicht sichern kann. Die Gewerkschaften haben kein Problem mit dem Atomausstieg. Ihr Herz schlug immer schon für erneuerbare Energien, auch wenn Spitzenmanager der Gewerkschaft durch enge personale Anlehnung an die traditionellen Energieträger nicht zuletzt persönlich davon profitiert haben. 

Die Sorge um den Erhalt alter Arbeitsplätze und die Aussicht auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch den Ausbau erneuerbarer Energiequellen treibt die Gewerkschaften immer dann in die Lager von Investoren, wenn neue Innovationen angesagt sind. Obgleich es noch lange nicht erwiesen ist, dass durch den Ausstieg aus der Atomkraft und den  Einstieg in den Ausbau alternativer Energien eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze überhaupt entstehen wird und die sich daraus ergebenden Konsequenzen ableiten lassen, dass die Gewinne der Unternehmen deshalb unter Druck geraten, hat die Gewerkschaften schon frühzeitig auf die Seite der Atomgegner schlagen lassen. Ihre Mitglieder entdecken neue Chancen und die Gewerkschaftsvertreter neue Einflussnahmen. Die Arbeitgeberseite hat viel zu lange gezögert, berechtigte Anliegen zu ihren eigenen, unternehmerischen und ethischen Überlegungen zu machen und immer erst darauf gehofft, nach staatlicher Unterstützung zu rufen, wenn ihre Stromlieferungen existentiell bedroht schienen. Immerhin macht auch heute noch ein abgeschriebenes Atomkraftwerk täglich einen Gewinn von über eine Million Euro, sofern es noch am Netz ist. Da gilt es nach wie vor, eigene Positionen - auch gegenüber den Gewerkschaften - erbittert zu verteidigen. 

Die Ethik der Gewerkschaften ist einfach und überschaubar: es frommt, was den Mitgliedern auf lange Sicht dienlich ist und ihren Einfluss auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer sichert. Es geht Ihnen sicherlich nicht so sehr um die gefahrdrohende Versorgungssicherheit durch Atomstrom, sondern in erster Linie um die Frage, wie der Energiewechsel gewerkschaftsorganisatorisch geräuschlos und zudem zielführend vollzogen werden kann. Dies ist ethisch zwar nicht sehr hilfreich, vermeidet aber unnötiges Konfliktpotential im Umgang mit anderen Arbeitgebern. Die Stellung der Gewerkschaften und ihre Bedeutung für ein zukunftsweisendes Gesellschaftsgefüge werden durch den Wechsel nicht eingeschränkt. Insofern können die Gewerkschaften getrost dem Energiewandel zustimmen, weil sie - auch nicht umwegsbezogen - mit Bedeutungsverlust rechnen müssen.

Die schwächste Gruppierung innerhalb der Ethik Kommission bilden die Vertreter der Wissenschaft. Ihnen, denen man eigentlich den wichtigsten Part in dem Gremium zugetraut hätte, kann man nur im ethischen Kontext mit deskriptiver Erfahrung aufwarten. Empirische Befunde, Wechselanalysen, Kostentransparenz, Verantwortungszuordnung bis hin zu glaubwürdigen Wissenschaftserkenntnissen liegen nicht vor. Wieso auch. Angewandte, empirische Ethik ist totale Fehlanzeige im deutschen Lehrprogramm. Hinter der Wissenschaft steht kein Wahldruck. Die politische Einflussnahme erstreckt sich allenfalls auf die Besetzung der Lehrstühle und auf - über das wissenschaftliche Ranking entscheidende Verteilungssystem - die Bereitstellung öffentlicher Gelder. Hochschulen, Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institutionen haben es jahrelang versäumt, in der Lehre und in der Forschung, der Ethik jenen Raum zu geben, der - wie in der gegenwärtigen Situation - geeignete Antworten und Lösungen anbieten kann. Ethische Unterweisungen und ethische Vorgaben und Standards wurden vernachlässigt und das Feld Philosophen, Theologen, Medienvertretern und Ex-Politikern überlassen, die daraus persönlich Kapital geschlagen haben. 

Wirtschafts-, Führungs- und Unternehmensethik galten lange Zeit für den Managernachwuchs als hinderlich und störend. Forschungsgelder wurden nicht bereitgestellt und viele Vertreter der Wissenschaft waren - bis heute nicht - vom Nutzen ethisch-ausgerichteter Wirtschaftsunternehmen überzeugt und der damit verbundenen menschengerechteren strategischen Ausrichtung von Unternehmen und Wirtschaft sowohl im Hinblick auf Konsumenten, Kunden als auch auf eigene Mitarbeiter bzw. die gesamte Öffentlichkeit. Bis heute fehlt es an einem geschlossenen System zur Bewertung von Unternehmen auf ihre ethische Substanz hin. Die Bedeutung der Ethik für Wirtschaft und Kultur, für Gesellschaft und deren moralische Beschaffenheit ist bis heute nicht Gegenstand geschlossener wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Wissenschaft übersieht die Gefahr der Notwendigkeit bisher unterlassener Ethikforschung, sie verkennt die positive Auswirkung der Ethik auf wichtige Zukunftsfragen und negiert ihren Nutzen für Menschen, Natur und Mitwelt. Wer Ethik bis heute nicht begriffen hat als einen elementaren Baustein im Gefüge des wirtschaftlichen, unternehmerischen und kulturellen Ganzen, der weist ihr einen Platz in der Gesellschaft zu, der ihrer fundamentalen Bedeutung nicht entspricht.

So ist auch die Namensgebung dieser Kommission mit einem Anspruch verbunden, dem sie im ethischen Sinn nicht gerecht werden kann. Anspruch und Wirklichkeit an ethische Vorgaben und Normen müssen daher zwangsläufig auseinanderklaffen. Die fehlende Einsicht in ethische Forschungsnotwendigkeit ist sicherlich nicht zuletzt auch der Grund dafür, dass es keine probaten Ansatzmöglichkeiten gibt - geschweige denn diskutable Rezepturen - der Wirtschaft aus Sicht der Wissenschaften begründete Verhaltensmechanismen anzubieten, die zu Wegen aus diesem Entscheidungsdilemma führen. Die Feldforschung steckt nicht einmal in den Kinderschuhen. Wie sollen da Schuhe bereits für Erwachsene angeboten werden? Wenn Hochschulen und Wissenschaften sich nur begreifen als Vorbereiter von akademischem Nachwuchs für eine Wirtschaft, der es ausschließlich um Nutzenoptimierung und maximale Gewinnorientierung geht, dann muss die Ethik zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Sie wird dann vergebens nach Antworten und Lösungen auf Problemstellungen suchen, die das desaströse und zum Teil menschenverachtende wirtschaftliche Verhalten ihrer Macher hinterlassen haben.

Es wäre schon ein Verdienst der Zusammenkunft der Kommission, wenn wenigstens in der Zukunft erkennbar würde, dass der Ethik in allen gesellschaftlichen Belangen wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde, wie dies in allen gesellschaftspolitischen Belangen und nicht nur beim Atomausstieg notwendig wäre.

Die Namensgebung der Kommission ist eine Hommage an die Kirchen. Deren Vertreter sind in der absoluten Minderheit und weisen den Initiator der Kommission als jemand aus, der die Ethik irgendwo in den Bereich der Theologie ansiedelt. Die christlichen Kirchen, insbesondere die katholische Kirche - haben sich durch die päpstlichen Sozialenzykliken sozialethische Verdienste erworben. Die Sorge und die Verantwortung um das Seelenheil ringender Menschen bzw. Gläubige haben die Kirchen umtriebig werden lassen. Sie versuchen Antworten auf die Zeichen der Zeit zu finden, ohne selbst davon zu profitieren. Sie haben wie alle anderen gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen bedauerlicherweise ein Glaubwürdigkeitsdefizit, weil sie das, was sie predigen, selbst nicht halten und das, was sie denken, auch selbst nicht aussprechen (dürfen). Die Mitgliedschaft der Kirchenvertreter leitet sich auch deshalb aus der Notwendigkeit ab, dem christlichen Anspruch in den Parteiprogrammen halbwegs gerecht zu werden und die daher die Unterstützung der Vertreter der Kirchen zu suchen. Das sichert am Tag der Abrechnung die erwarteten Stimmen.

Durch das hohe Glaubwürdigkeitsproblem, insbesondere der katholischen Kirche im Hinblick auf den Umgang mit gelebter ökumenischer Gemeinsamkeit zusammen mit der evangelischen Kirche, die Auslegung erzkonservativer Dogmatik und das priesterliche Fehlverhalten in der Fläche, der Abzug von Geistlichen aus den Pfarreien und ausbleibende effektive Seelsorge der hilfesuchenden Menschen haben eine Mixtur entstehen lassen, die viele - nach wie vor an Gott Glaubende - aus der Gemeinschaft der Kirche austreten lassen. Gleichzeitig aber finden Selbstcelebrationen und Koncelebrationen mit einer Anhäufung von staffagierten Würdenträgern statt, so dass zuweilen der Eindruck entsteht, dass bei soviel Akkumulation von priesterlicher Ausschmückung in den klerikalen Zentren unserer Bistümer kein Priestermangel herrscht und dennoch niemand mehr für die Missionsarbeit vor Ort zur Verfügung stehen kann (und will). Man stelle sich einmal  ein Pontifikalamt in einer Industriehalle oder in einem profanen Lagergebäude vor; das würde doch nichts hergeben. Kurzum, die Kirchen werden ihrer Verantwortungsethik nicht gerecht und die Quittung erhalten sie tagtäglich durch die Leerstände der Kirchen, den fehlenden priesterlichen Nachwuchs und die unzeitgemäßen Verhaltensweisen ihrer Oberen.

Die Kommission wäre eine gute Plattform für kritische Töne und eine Rückgewinnung längst verlorener Positionen. Es wäre ein Podium für das Aussenden sozialethischer Positionen, selbst auf die Gefahr hin, dass den Kirchen der politische Wind entgegenblasen sollte. Die Kirchen müssen sich wieder ethisch finden und sollten erst dann wieder Normen formulieren, die auch vertrauensvoll und glaubwürdig transportierbar sind. Dann würde auch ihr Beitrag zum Ausstieg aus der Atomkraft in dieser Gesellschaft Gewicht haben und entsprechende Akzeptanz finden. Wenn es den Kirchen ernsthaft um das Seelenheil ihrer Gläubigen und um das Wohl aller Menschen geht, dann muss sie sich von opportunen Strukturen lösen und sich auf das besinnen, wozu christliche Gemeinden angetreten sind, zu dienen und nicht zu herrschen. Der Caesaropapismus moderner Prägung sichert zwar das Überleben der kirchlichen Institution, er geht aber an seinem ursprünglichen Auftrag vorbei. Die Chance, auch in der Ethik-Kommission für die Kirche punkten zu können, sollte daher nicht ungenutzt bleiben. Sie hätte dazu alle Voraussetzungen.

Als Résumé aus der bis Ende Mai tagenden Ethik Kommission der Bundesregierung lässt sich das Fazit ziehen, dass die Aufgabenstellung, nämlich die Suche nach einem breiten gesellschaftlichen Konsens vor dem Hintergrund des Umstiegs von der Atomkraft zu erneuerbaren Energien unstreitig und richtig ist. Ein geordneter - auch unter zeitlichen Dimensionen - akzeptabler Rückzug aus alten in neue Energiefelder ist notwendig und wünschenswert. In der allerdings vorgesehenen Zeit ist weder aus diesem Gremium noch aus anderen zur Verfügung stehenden Einrichtungen ein Ergebnis ableitbar, dass von Kirchen-, Gewerkschafts- Politvertretern eine Antwort erwarten darf auf etwaige Versorgungsprobleme, Auswirkungen auf den Klimaschutz und eventuellen Opportunitätskosten des Strom-Imports. Hier sind auch den "Weisen" fachliche" und berufliche Grenzen gesetzt.

Lassen wir es dabei bewenden, die Tatsache, ein gesellschaftliches Commitment zu finden, allein ist es der Mühe wert, den Druck aus der emotional geführten Diskussion zu nehmen. Mit Ethik im eigentlichen Sinn hat der Arbeitskreis wenig zu tun. Es ist lediglich die gute Absicht, die für ein gutes Ergebnis steht. Eine Ethik-Kommission, die es verdient hätte, diesen Namen zu tragen, hätte aus Persönlichkeiten bestehen müssen, die in ihrer Verantwortungsfindung für alle Bevölkerungsteile gleichermaßen unabhängig und prädestiniert sind, nur ihrem Gewissen verantwortlich sind und ausschließlich ihren menschlichen Erfahrungen und Eignungen vertrauen. Ethik hat mit Verantwortung für alle zu tun und nicht mit der Wahrnehmung von Detail- oder Individualinteressen. Sie gefährden einmal mehr die längst verlorene Glaubwürdigkeit in die Lenker und Denker dieser Nation. Menschengerecht zu leben, anstandsgerecht zu entscheiden und sachgerecht zu handeln, sind der Tribut, den wir alle unserer Gesellschaft zollen.