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Dienstag, 12. April 2011

"ETHIK" - EINE THEORIE IM KOPF?

"ETHIK" - (nur) Eine THeorie Im Kopf?

Prof. Dr. Joachim Kohlhof
Schirmherr VITAO®OECM
Ethic Community
Mail vom 12. April 2011

Lieber David,

ich will gerne auf die Einlassung des Lehrers antworten, der sich skeptisch über die Ethik ausgelassen und sie als eine "Theorie im Kopf" bezeichnet hat. Für mich ist es erschreckend festzustellen, mit welcher ignoranten Erkenntnishaltung Lehrer auf unsere Jugend entlassen werden, welche dann im weiteren Leben gegen alle Widerstände besseren Wissens vermittelt werden soll. Hier werden bereits die Probleme gesät, mit der sich später die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Medien und die Wissenschaft auseinandersetzen müssen. Bereits das verharmlosende Plagiieren und die unwissenschaftliche Übernahme fremden Wissens zeigen einmal mehr, woran es in den Bildungseinrichtungen offensichtlich hapert.

Ethik ist keine Theorie im Kopf. Es hört sich zwar spaßig an und geht sofort in den Kopf rein, aber wie gefährlich solche Simplifizierungen sind, zeigt, dass solche proverbs ein Leben lang im Kopf verankert bleiben. Man bekommt diese Idee nicht mehr heraus. Alles ist zunächst immer graue Theorie, wenn sie nicht durch die Natur, Mitwelt oder Gesetzmäßigkeiten bestätigt wird.

Noch einmal:

Moral ist die - in einem bestimmten Sozialsystem, einer Gruppe / Organisation, einem Unternehmen, tatsächlich geltende und erzwingbare Norm. Moral spiegelt ein gesellschaftliches Niveau wider, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt besteht. "Herrschende" Moral kann von einem bestimmten Partner, Gruppenmitglied, Teamangehörigen etc. verlangen, dass man sich nach den vorgegebenen bzw. herrschenden Prinzipien zu verhalten hat. Eine Fußballmannschaft, die eine hohe "Moral" zeigt, demonstriert, welche Werte für den Einsatz in diesem Spiel Geltung haben. Es geht um die Tatsächlichkeit, nicht um das Wünschens- oder Begehrenswerte.

Moral beschreibt also, welche Werte, Normen und Verhaltensweisen (Einsatz bis zum Umfallen) in einer Gemeinschaft / Gesellschaft wirklich, effektiv und tatsächlich gelten. Sie ist stets ein Ergebnis bestimmter historischer Lebens- und Machtprozesse. Diesbezüglich gibt es auch eine Moral in kriminellen Vereinigungen. Auch die Mafia kennt eine Moral, weil die dort geheiligten "Werte", die für alle Mitglieder gelten, tatsächlich praktiziert und umgesetzt werden müssen.

Was unterscheidet nun die "Ethik" als "Theorie im Kopf" gegenüber der oben beschriebenen Moral?

Der wesentliche Unterschied zwischen den häufig synonym verwendeten Begriffen von Moral und Ethik liegt darin, dass Ethik nach den Grundsätzen und Prinzipien für ein bestimmtes Verhalten fragt (auch nach den von der Mafia begangenen Morden und der damit praktizierten Moral). Ethik sucht nach der methodisch geleiteten Besinnung und Begründung auf die tatsächlich geltende Moral. Eine Begründung für unmoralisches Verhalten wird es daher aus ethischer Sicht bzw. mit ethischer Begründung nicht geben können. Ethisches Verhalten verlangt nach einer menschlichen Begründung. Insofern weichen beide Begriffe, wenn ihr zugrundeliegendes Verhalten nicht begründbar ist, erheblich voneinander ab.

Um in der Diktion des Lehrers zu bleiben, ist die Ethik die Lehre bzw. Theorie von der menschlichen Verantwortung mit dem Versuch, diese zu begründen. Ethik ist daher gefährlich. Sie verunsichert den handelnden und irritiert den Analysten. Sie setzt eine tiefe menschliche Erkenntnisfähigkeit voraus, das Verantwortungsvolle zu tun und das Richtige zu sagen. Ethik stellt in frage und prüft genau, welche Werte, Normen und menschliche Tugenden begründbar sind. Sie ist somit auch eine Reflexion über unser (Da)-Sein und unser menschliches Miteinander in den Kristallisationspunkten unserer menschlichen Sozialisation.

Aus dieser "Theorie im Kopf" dürfen dann auch die Wissensvermittler ableiten, ob sie der Ethik mehr als nur einen theoretischen Baustein in ihrem Lehrgebäude einräumen oder nicht.

Beste Grüße

Joachim