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Montag, 28. März 2011

JU-LE-X-ME-MO

Prof. Dr. Joachim Kohlhof
Schirmherr der VITAO Ethic Community

Aus einem Mail vom 19.03.2011




Die jüngsten Ereignisse bei uns veranlassen mich, meine tiefe Scham über unser öffentlich-rechtliches Regierungsverhalten doch einmal zu dokumentieren:

Unter der Überschrift JU-LE-X-ME-MO kommen mir folgende Gedanken:

Deutsches Verfassungsrecht, wie auch internationales Recht, fußen auf der bekannten Gewaltenteilung, die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist. Diese zu bewahren und zu beachten ist oberste Regierungsaufgabe und zugleich Messlatte für die übernommene Regierungsverantwortung, nach denen sich die meisten Politiker allerdings mehr aus Eitelkeit händeringend sehnen.

Die JUdikative als rechtsprechende Gewalt soll für ein von der Politik, d.h. von der Legislative und Exekutive unabhängige dritte Gewalt sicherstellen und stellt damit ein hohes Rechtsgut in jeder Demokratie dar.

Die LEgislative ist die von den Parlamenten ausgestattete gesetzgebende Gewalt, die das Soziale Gefüge des Staates sichert und die ordnende Räderwerk im gesellschaftlichen Zusammenleben der Bürger ermöglicht.

Die EXekutive als gesetzesausführendes Organ sichert und sanktioniert erlassene Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsakte, um den Willen der Gesetz- und Verordnungsgeber in die tägliche Praxis gesetzes- und verordnungstreu umzusetzen.

Inzwischen haben sich neben den drei Säulen klassischer westlicher Demokratien, faktisch weitere Säulen hinzugesellt, die aus modernen Demokratien nicht mehr wegzudenken sind, obwohl sie in den Demokratie-Verfassungen als solche nicht explizit erwähnt werden und verankert sind.

Es handelt sich um die MEdiative, die meinungsbildende Gewalt, die zum eigentlichen Korrektiv in einer Demokratie geworden ist und  deren Überwachungsfunktion über Missverhalten in den drei vorhergenannten Säulen zum wesentlichen Element eines funktionierenden Staatsgebildes geworden ist. Die traditionellen Säulen sind hierzu entweder nicht mehr bereit oder auch nicht willens, Missstände aller Art aufzudecken. Hierzu bedarf es unabhängiger Medien, die sich nicht als Steigbügelhalter unethischer Praktiken des Staatsapparates verdingt haben bzw. verdingen lassen.

Schließlich drängt in jüngster Zeit noch eine weitere Staatsgewalt ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Ich würde sie als MOneative Gewalt bezeichnen, weil sie abgeleitet ist aus der geldschöpfenden und geldvernichtenden Kraft des nationalen und internationalen Finanzwesens, die in der Lage ist, durch ihre gigantischen vagabundierenden Finanzströme nicht nur ganze Demokratien zu gefährden, sondern auch deren wirtschaftliche und damit demokratische Funktionen supranational außer Kraft zu setzen. Diese fünfte Gewalt ist im Grundgesetz der Bundesrepublik als solche nicht verankert, sondern nur die inzwischen wirkungslosen Barrieren eines ordnungs- und verfassungsgemäßen Finanzgebarens, dem sich  die meisten westlichen Demokratien ohnehin nicht unterworfen haben. Sie haben längst die verfassungsmäßig zulässigen Schranken überschritten und die selbst gewählten Beschränkungen ad absurdum geführt.

Wenn alle fünf Säulen in unabhängiger Weise das Einhalten demokratischer und dem Gemeinwohl verpflichteter Spielregeln beachten würden, wäre zumindest ein verträgliches Maß im Zusammenspiel demokratischer Gepflogenheiten erreicht. Die Loyalität der Bürger zu ihrem Staat wäre weitgehend gesichert und das Vertrauen in die Staatsorgane nicht nachhaltig erschüttert.

Die Realität ist eine andere.

Die Wahl des Titels JU-LE-X-ME-MO deutet schon auf die enge Verquickung aller drei bzw. fünf Säulen grundgesetzlicher Mindestbedingungen hin. Es gibt inzwischen eine unselige Vermengung und Vermischung der demokratischen Gewalten untereinander und zudem eine personelle Verbindung von Angehörigen der verschiedenen Staatsgewalten, die nicht einmal davor zurückschrecken, gleichzeitig in mehreren Engagements normaler trennscharfer Interessenlager ihre Hände aufzuhalten bzw. ihr Interessenfeld sogar in der Öffentlichkeit abzustecken und wenn notwendig auch umzusetzen. Nichts ist undenkbar geworden. Da versuchen Spitzenfunktionäre von der Exekutive  in die Judikative umzuswitchen, die Einhaltung verabschiedeter Gesetze verwaltungsseitig als unbeachtlich einzustufen oder gar außer Vollzug zu setzen oder sich auf dem Ticket der Legislative oder der Exekutive in einer Weise persönlich zu bereichern, dass die Justiz nicht mehr nachkommen kann (oder will), kriminelle Vergehen zu ahnden. Die Macht korrumpiert sich selber und hebelt so die sie tragenden Verfassungselemente immer mehr aus. Sie verblendet sich vor der notwendigen Verantwortung, auch wenn diese verbal immer wieder als unumstößlich und nicht abdingbar gebetsmühlenartig eingefordert wird.

Es ist beschämend mit ansehen und mit anhören zu müssen, welche Respektlosigkeit sich im Staatsgefüge breitgemacht  hat. Es handelt sich eben nicht um eine positive Streitkultur, wenn sich demokratisch legitimierte Parteien  gegenseitig der Lüge, der Fahrlässigkeit und des öffentlichen Vertrauensverlustes bezichtigen. Immer mehr gewinnt der arglose Bürger das beklemmende Gefühl, dass in den Hinterzimmern der Macht Deals ausgehandelt werden, an denen die Angehörigen anderer Gewalten entweder erst gar nicht teilnehmen dürfen oder nur scheibchenweise informiert werden, so dass am Ende nur ein Zerrbild dessen entsteht, was nun tatsächlich entschieden wurde. Diese Hinterzimmerpolitik - offenbar auch im Atomkonflikt - ist  Ausdruck großer Unsicherheit und lässt vermuten, dass die Bevölkerung bewusst im Unklaren bzw. in Unkenntnis gehalten werden soll. Vorbilder agieren anders, sie kommunizieren und lassen an den Staatsaktionen andere Staatsträger mit teilhaben.

Es stellt sich überdies die Frage, wie der deutsche Außenminister, der zugleich Parteivorsitzender seiner Partei ist, die bisher kein Direktmandat erwerben konnte und nur über das Listenverfahren in den Deutschen Bundestag einziehen konnte, die demokratische Legitimation ableiten konnte, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich gegen eine wirksame Parteinahme im Schulterschluss mit Frankreich, Großbritannien und den USA für die Interessen des geknechteten libyschen Volkes auszusprechen. Wenn die internationale Solidarität immer nur von anderen eingefordert wird und keine eigene Bereitschaft besteht zu helfen, weil immer nur eigene wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, dann verwirkt auch unser Land die solidarische Unterstützung, wenn es zu einem anderen Zeitpunkt ebenfalls um deren Beistand geht. Menschengerechtigkeit verlangt, Hilfe dort anzubieten, wo sie dringend nötig ist und nicht unverständliches Taktieren auf dem Rücken der Schwächsten. Anstandsgerechtigkeit liefert keine Grundlage für Spekulationen. Sie kann nur dort erfolgreich sein, wo nicht einseitig Vorteile für das eigene Land erhofft werden, nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß". Sie geht immer von einer beiderseitigen Win-Win- Strategie aus, in der das libysche Volk seine berechtigten Rechte und Interessen einfordert und unsere Republik auf lange Sicht Vorteile aus der demokratischen Entwicklung dieses arabischen Landes zieht. Das Ausgleichsangebot für die eigene "Weder Fisch noch Fleisch-Politik“, in Afghanistan sich mehr engagieren zu wollen, geht voll an der Aufgabenstellung vorbei. Schließlich ist als dritte Komponente einer nachvollziehbaren ethischen Haltung die Frage auch der Sachgerechtigkeit einer Enthaltungspolitik zu prüfen. Auch diese zielt ins Leere, weil eine "offene Hose Politik" nur dem hilft, der nichts zu befürchten braucht, weil seine Unterdrückungsstrategie ihr Unheil in Folter und Tod fortsetzen kann. Gerade in Deutschland wäre eine eindeutige Positionierung zugunsten der Libyer wichtig gewesen, um durch das eigene Schicksal genügend motiviert zu sein, Diktaturen jedwelcher Art zu beenden und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Durchbruch zu verhelfen.

Von Verantwortung ist da wenig zu spüren. Dieses wirklich abstruse und unverzeihliche Abstimmungsverhalten zu Lasten des nach Demokratie rufenden arabischen Volkes zeigt einmal mehr, dass offenbar nur zahlende Klienten bei einer sich nach außen liberal gebenden Partei Aufmerksamkeit finden. Wer aber nach  allen Seiten hin offen sein will, kann auch kein geschlossenes Wahlprogramm anbieten, weil die Optionen für Alternativen bereits elementarer Bestandteil der eigenen Wahltaktik werden. Das Leben politischer und menschlicher Werte verlangt etwas anderes, nämlich Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit. An allem mangelt es. Deshalb ist auch jede demokratische Wahl zum Hasard geworden, weil die Kalkulierbarkeit nur noch für Klienten gilt aber nicht für die eigene Bevölkerung. Die Bedrohung ständig in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, hat bedauerlicherweise nicht zur Erneuerung des maroden und anpassungsfreudigen Wertesystems geführt, sondern zu einer „immer so weiter Politik“, die den Wählern nicht mehr das notwendige Vertrauen abverlangen kann. Eine liberale Partei, die nicht selbst die Kraft zur Selbsterneuerung aufbringt, verwirkt ihren Anspruch, für ein ganzes Volk Verantwortung zu übernehmen. Deshalb sollte ein Frontmann, der lauthals und stramm die Werte unserer ganzen Gesellschaft anzweifelt, der erste sein, der im eigenen Haus damit beginnt. Und hier beginnt das Dilemma. 

(...)